Jugendgefährdend: die Kinderoper "Brundibár"
gehört ins Museum und nicht auf die Bühne!
Ein mit Schmerzen verbundener, aber notwendiger Durchleuchtungsversuch
(Entwurf)
Aninka und Pepicek sind zwei gutherzige, aber nicht so
gut erzogene und ein wenig zurückgebliebene Kinder, die Grundregeln
des Zusammenlebens noch nicht verstanden haben, dafür aber umso anmaßender
auftreten:
Hey! Milchmann, gib uns Milch, füll die Flasche
wieder!
Wir brauchen frische Milch, Mutter hat Fieber!
und ihr Gegenüber, das so natürlich nicht mit
sich umspringen lässt, ohne weiteres Bitten oder Erklären, dafür
unter prompter Benutzung des bekannten Klischees "reich und hartherzig",
umgehend an den Pranger stellen:
Seht euch den Milchmann an! Reich ist er, gibt nichts
her.
Die Obrigkeit stellt sich in Gestalt eines Polizisten
auf die Seite des Rechts; und da die Kinder jetzt etwas gelernt haben,
nämlich dass man zum Einkaufen Geld braucht, versuchen sie solches
durch selbstgemachte Musik zu erwerben. Dieses neuerlich naive Vorhaben
bringt sie in Konflikt mit einem weiteren auf den Ernst des Lebens und
sein gutes Recht pochenden Geschäftsmann, nämlich mit dem Drehorgelspieler
Brundibár, nach dem die Oper benannt ist (! - sie könnte durchaus
nicht "Kindesliebe" oder "Milch für die Mutter"
heißen) und der in ihr den Bösewicht spielen muss.
Die Hetzjagd auf diesen allzu wehrlosen, nur vom Recht und einer
schwachen Exekutive geschützten Einzelnen, der mit zahlreichen Requisiten
aus den Kleiderkammern von altem Judenhass und modernem Antisemitismus
ausgestattet wird, bildet den Inhalt der Oper. Brundibár wird von
einer Meute aus Kindern und Tieren lustvoll und triumphierend gejagt,
vom Hund gebissen, zur Strecke gebracht, seiner Existenz und Würde
beraubt.
Wer ist Brundibár?
Ein beliebter und erfolgreicher Straßenmusikant. Die Leute auf dem
Markt summen zum Klang seines hochwertigen und sicher teuren Instruments,
er selbst rühmt sich, offensichtlich zu Recht, die neuesten "Schlager"
parat zu halten und der Beste im Erzeugen guter Stimmung zu sein. Davon
lebt er (mit seiner zu vermutenden Familie!), und so verteidigt er nicht
ohne Grobheit das Monopol, das er offenbar hat und das wie das Recht des
Milchmanns den Schutz der (freilich, wie gesagt, versagenden) Obrigkeit
genießt. Als er der Gewalt der Kinder-Tier-Meute weichen muss, wehrt
er sich tapfer, indem er die eigentlich ihm gehörenden Einnahmen
der Kinder zurückzuklauen versucht.
Wie wird Brundibár dargestellt?
Denunzierend. Zwar erfährt er nicht wie der Milchmann vom schönen
Mutter-Anliegen der Kinder, aber rein dadurch, dass er mit seinem Geschäftsinteresse
zum Widerpart der kindlichen Herzenswünsche wird, erscheint er als
gemütlos, egoistisch und kalt. Als Drehorgelspieler ist er erstens
der mit einem modernen Produktionsmittel wirtschaftende Kapitalist, zweitens
der technisch-seelenlose, aber marktorientierte und marktgängige
Entertainer, drittens der durch Reproduktion von Massenware erfolgreiche,
aber im Grunde natürlich unproduktive, nicht-kreative Pseudo-Künstler,
welcher der aus den Seelentiefen des Volkes und der Kinder aufsteigenden
wahren Kunst das Wasser abgräbt bzw. diese auch, als er sich zur
Wehr setzt, manifest stört (S. 8 unten).
Was haben die Tiere gegen Brundibár?
Sie hassen ihn ganz einfach und scheinen nur auf eine Gelegenheit gewartet
zu haben, ihm den Garaus zu machen. Nichts davon, dass sie etwa Mitleid
mit der kranken Mutter hätten; sie mischen sich ein, als sie merken,
dass da zwei Feinde Brundibars sind, die Helfershelfer brauchen:
Spatz: Zweie allein reichen nicht aus, da habt ihr recht
[...]
Hund: [...] ihr versteht, daß es nicht alleine geht:
Gern* beiß' ich für euch den Brundibár!
Spatz, Katze, Hund: [...] wenn alle helfen, ist er besiegt.
Kinder gibt's viele, die wollen wir fragen
sie werden gemeinsam den Kampf mit uns wagen
und Brundibár morgen vom Marktplatz verjagen.
Brundibár lässt sich nur dadurch bezwingen,
daß alle zusammen wir gegen ihn singen!
Wehe dir, Brundibár, morgen sind wir da!
Und was haben die vielen Kinder gegen Brundibár,
die dann von den Tieren mobilisiert werden? Gewiss, zunächst erfahren
sie die rührselige Geschichte, nach deren Erzählung die Tiere
erneut ein weit über diesen Anlass hinausgehendes Eigeninteresse
bekunden:
Wir erzählen ihnen, daß die Mutter unserer
beiden Freunde krank ist und Milch braucht, [...] daß der böse
Brundibár nicht duldet, daß sie auf dem Marktplatz singen,
um sich was zu verdienen. Und daß wir ihnen helfen können,
wenn wir alle zusammen singen. Denn alle zusammen sind wir lauter als
der Leiermann! Dann macht er den Kasten zu, und wir haben vor ihm Ruh'!
Doch dann wird klar, daß auch die Kinder - offensichtlich
alle Kinder - immer schon etwas gegen Brundibár hatten (während
kein Wort mehr von der kranken Mutter fällt!):
Sicher kommen wir und singen, helfen euch ihn zu bezwingen.
Ja, wir gehen mit den Tieren, Brundibár, der soll verlieren.
Hilfe braucht ihr, wir verstehen, Brundibár soll endlich gehen!
Endlich gehen! Endlich!
Fazit: so wie Brundibár der Feind der Tiere ist,
immer schon, also widernatürlich, so ist er auch der Feind der noch
unverdorbenen Menschenkinder, des Volkes im romantischen Sinne, er ist
biologische Missgeburt und sozialer Ausschuss. Das ist der wahre Grund
seiner Verfolgung, in deren Erfolg die Handlung gipfelt, während
die kranke Mutter nur den willkommenen Anlass geliefert hat.
Erinnern wir uns, dass er als hart, kalt, egoistisch, geldgierig, als
Kapitalist und Lieferant seelenoser Musikkonserven, als unkreativ und
krativitätsfeindlich denunziert wird; nehmen wir hinzu, dass er "Hummel"
heißt (=tschechisch 'brundibár'), was nicht nur ein sprechender
Name wie viele jüdische Namen, sondern auch ein den Menschen und
seinen Beruf abwertender Name ist; erinnern wir uns schließlich
aus der Geschichte, das es immer das Pseudoargument des Monopolismus war,
das beim "Arisieren" herangezogen wurde, dann kommt man nicht
darum herum, dass Brundibár gewissermaßen DEN JUDEN im
Sinne der üblichen Hetzbilder geben muss. Die Einschränkung
"gewissermaßen" soll die Grenze markieren, die so gerade
eben nicht überschritten wird: die zur ausdrücklich judenfeindlichen
und antisemitischen Denunziation.
Was geschieht mit Brundibár?
Ein Schicksal von Lynchjustiz, ein mit Hass und Hass-Lust ausgeübter
Pogrom. Das Wort, das nicht verräterischer sein könnte, fällt
tatsächlich: (Hund):
Spür' ich einen Hasen auf,
folg' ich niemals seinem Lauf.
Ich allein krieg' keinen Hasen klein.
Hol' ich Freunde mir mir dazu,
hat der Hase keine Ruh,
Eine MEUTE ist des Hasen Pein!
Dem entsprechend am nächsten Morgen Aninka:
...jetzt geht's los, Brundibár wird sich wundern!
Die Geschwister und die Tiere zusammen:
Hört ihr den Glockenschlag?
Heut ist ein großer Tag!
Freuen uns alle drauf, ja, mit Brundibbar
nehmen wir's auf.
Und so ereilt den Stigmatisierten sein Schicksal:
Brundibár (als er, Drehorgel spielend, die miauende Katze und den
bellenden Hund wegzujagen versucht):
Blöder Köter, lass' das Stören,
meine Lieder will man hören, schleich die endlich, freche Katze,
denn sonst gibt's wa auf die Tatze! / So, jetzt reicht es, du verdammter...
- au, er beißt mich - Straßenköter! / Laß die
Hose! Hilfe, hilfe! Steht nicht da, helft Brundibár!
Aber es hilft
"natürlich", darin ganz getreu auch der historischen Wahrheit,
niemand. Es ist die Stelle der Oper, die wie keine andere darauf berechnet
ist, dem kindlichen Publikum Vergnügen zu bereiten, es zu schallendem
Lachen zu bringen: der dramatische Höhepunkt!
Die Vorstellungskraft des Erwachsenen mag die Erinnerung an Wilhelm Buschs
Schmulchen Schiefelbeiner ("schöner ist doch unsereiner")
in "Plisch und Plum" auf makabre Weise beflügeln:
Dem die Hunde die Hose zerreißen: eines der geläufigsten Bilder
der Verächtlichmachung des Juden! Wobei Wilhelm Busch kein Antisemit
im modernen Sinne ist: Plisch und Plum haben noch einen konkreten Grund,
böse zu sein.*
Wird dieser Akt von Selbst-, ja von Lynchjustiz im Stück
nur vorgeführt oder wird er auch reflektiert und bewertet?
Letzteres ist der Fall. Im berühmten Schlusschor, dessen Thema angeblich
die Solidarität der Unterdrückten ist und den nach dem Mythos
die Nazis nur deshalb durchgehen ließen, ja in den Propagandafilm
"Der Führer schenkt den Juden eine Stadt" hineinnahmen,
weil sie angeblich kein Tschechisch konnten, geht es um das, was hier
"Freundschaft" genannt wird, was sich dem kritischen Blick aber
rasch als die Komplizenschaft der Mensch-Tier-Meute entlarvt, die einen
stigmatisierten Außenseiter erledigt hat: (Chor:)
Ihr müßt auf Freundschaft bau'n [...], dann
kann euch nichts trennen. / Ihr seht ja, wie es war: Wir schlugen Brundibár;
/ Uns kann nichts trennen.
Und was ist mit dem Recht, das mit Füßen getreten
wurde? Die letzten Verse der Oper verkünden es:
Freundschaft alle Zeit,
hilft euch in jedem Streit
und SCHAFFT GERECHTIGKEIT.
Nehmt euch bei der Hand,
und knüpft das Freundschaftsband.
Ist das die Freundschaft, nach der unsere Kinder sich
sehnen und die wir sie lehren wollen? Eine auf Ausgrenzung und Eliminierung
von Einzelnen gegründete Kumpanei, die sich über alles Recht,
ja alle Gesittung hinwegsetzt und sich ein eigenes Gesetz schafft,
das Willkürgesetz der Mehrheit, des gesunden Volksempfindens?
Natürlich nicht. Aber das war es, was unsere Eltern, Großeltern
(und inzwischen sogar schon Urgroßeltern, Gott sei Dank) in der
Hitlerjugend gelernt haben, genau das.
Ebendeshalb aber immer noch (oder etwa nicht?) jugendgefährdend:
die Kinderoper "Brundibár" gehört ins Museum...
(Im Weiteren soll anhand der Lebensgeschichte Krasas und
der Entstehungsgesichte seiner Oper dargetan werden, wie deren faschismusnahe
Botschaft erklärt werden kann: daraus, dass er nach heutigem und
allein humanem Verständis Krasa keineswegs "Jude" war (auf
der Vaterseite Vorfahren jüdischen Glaubens, aber auf die deutschesten
aller Vornamen getauft: Hans Karl, tschechisch wäre das Jan Karel
gewesen, deutsche Muttersprache, Studium und Veröffentlichungen auf
deutsch - er war also schlicht, was man im Vielvölkerstaat Tschechoslowakei
einen "Volksdeutschen" nannte[1]), als er mit
seinem deutschen Freund und Librettisten Hoffmeister das Werk schrieb:
1938 in Prag, vor Hitlers Einmarsch, für einen staatlichen Wettbewerb
(was erklärt, dass "Brundibár" überhaupt auf
tschechisch geschrieben ist, seine früheren Werke sind es nicht!
) - also in einem bestimmten geistigen Klima, das noch nichts, aber auch
gar nichts mit jüdischem Lager-Widerstand zu tun hatte (wieso übrigens
"jüdischem"? vielleicht haben er und sein Umkreis sich
eher tschechisch identifiziert?). Selbstverständlich wird nicht daran
gerüttelt, dass dieser Oper und so auch ihrem Schöpfer ein ungeheures
Verdienst zukommt: sie haben den Opfern wirklich geholfen! Freilich
wird auch versucht, die Hilfe, die sie geleistet hat, etwas differenzierter
als üblich zu verstehen - eher mit dem psychoanalytischen Modell
"Identifikatiuon mit dem Aggressor" und mit Elias Canetti, der
in "Masse und Macht" die Hetzlust der "Meute", zu
der hier Spieler und Zuhörer animiert werden, aus der eigenen Todesangst
(die auch schon Krasa insgeheim bei seinem Schaffen motiviert haben könnte
- Frage an die, die gebildetere Musiker sind als ich: hört man so
etwas?) erklärt hat. Und es soll an Peter Kien erinnert werden, der
auch in Theresienstadt eine Oper vorlegte, aber eine politische, totalitarismuskritische,
für die er sofort ins Gas geschickt wurde und dem bei Peter Weiss,
einem anderen Großen und Liebenswerten der tschechisch-jüdisch-deutschen
Geschichte, ein wunderbares Denkmal gesetzt ist. Und natürlich müssen
schmerzhafte Fragen an die allzu gutmeinenden Macher des "Projekts
Brundibár" und an uns alle gestellt werden.
Und, mit aller Deutlichkeit und allem Nachdruck: die Forderung nach offener
und öffentlicher Diskussion. Es muss etwas anders werden.
(Speziell mit den Oberstufenschülern möchte ich noch über
deren in eigener Regie hergestelltes Programmheft reden. Es ist wie alles
an diesem Projekt gut gemeint und mit bewundernswertem Engagement gemacht,
es enthält gute Beiträge - aber auch zu viele Schlampereien
im Detail, es fehlen erstrangig wichtige Informationen - Bedeutung des
Titels, Biografie des Autors, Entstehungskontext [siehe oben]. Das wirklich
Schlimme aber: gut und richtig gemeinte, so, wie sie dastehen, aber schreckliche
Sätze - ich will das gern erläutern; Hervorhebungen von mir:)
Der sich anbahnende Krieg führte zu
einer Ausweitung der Konzentrationslager. [...] Zur Inhaftierung von
über 20 000 Juden kam es nach der Reichspogromnacht [...].
Die Belegkapazität der Konzentrationslager musste infolgedessen
erhöhlt werden. [...] In den frühen 30er Jahren wurden [...]
viele unterschiedliche Strategien verfolgt, die aber nicht aufeinander
abgestimmt und deshalb nicht konsequent genug waren. [...] Daraufhin
nahm die Judenpolitik einheitlichere Formen an. Hitler hielt
[...] eine Rede, in der er bekannt gab, dass die Judenfrage nun
einheitlich gelöst werden solle [...]. Mittlerweile hatte
das deutsche Volk nach NS-Ansicht akzeptiert, dass der Jude als Feind
anzusehen war, gegen den Maßnahmen ergriffen werden mussten.
[...] Der letzte Schritt zur Realisierung der Endlösung
war die Wannsee-Konferenz [...]. Hier koodinierte Reinhard Heydrich
[...] die erforderlichen Maßnahmen, damit in einem enormen
Umfang Juden ausgerottet werden konnten. [...] 5 - 6 Millionen
Juden sollen der Massenvernichtung zum Opfer gefallen sein. [Ich
zweifle nicht, dass die Vf.in es hier wie überall richtig meint:
dass man keine genaue Zahl hat, weil auch Schätzungen vorgenommen
werden müssen, sie sagt aber objektiv, dass man an dieser Größenordnung
zweifeln könne - um Himmels willen!]
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[1] So verzeichnet das New Grove
Dictionary of Music and Musicians ihn auch schlicht als "german
composer".
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